Ist der „2+4-Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ ein gleichwertiger Ersatz für einen Friedensvertrag („Peace Tready“) oder soll dieses Vertragswerk gar einen solchen darstellen? Nach der Veröffentlichung der einst als „Secret“ deklarierten Gesprächsprotokolle und Positionspapiere zu den in den 1990igern offensichtlich überstürzenden Ereignissen zu einer sog. Wiedervereinigung darf getrost an einer derartigen These gezweifelt werden.
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„Ein Friedensvertrag wäre keine gute Idee“
Das National Security Archive veröffentlichte einen ausführlichen Artikel über die angezweifelten Versprechungen seitens der USA, die Nato nach einer „Wiedervereinigung“ der beiden Republiken BRD und DDR um „keinen Inch“ weit gen Osten auszuweiten. Die Zusage der USA wurde an die Sowjet-Regierung erteilt, jedoch lediglich mündlich, wie aus dem Bericht deutlich hervorgeht.
Innerhalb der Ausführungen sind Verweise auf zahlreiche Quellen enthalten, die „so ganz nebenbei“ sehr interessante Informationen im Bezug auf die Entwicklung der sog. deutschen Wiedervereinigung wiedergeben. Der 2+4-Vertrag ist offenbar lediglich ein Ergebnis der Formation 2+4 (Gorbatschow favorisierte ursprünglich 4+2) bzw. „Two Plus Four“, die (fast) ausschließlich die Mitgliedschaft des „Vereinten Wirtschaftsgebietes“ in der Nato zum Ziel hatte und damit auch die dominante Präsenz der US-Streitkräfte in Europa.
Protokolle der US-Administration sind wie gewöhnlich in Englisch gehalten. Die Übersetzungen von mir mögen ggfs. etwas „holprig“ wirken, aber sinngemäß sollte es passen. Dafür steht’s quasi als Vorlage zum Nachlesen auch in der Original-Abschrift. Der Link zu den Quellenangaben ist ohnehin jeweils dabei.
Folgende Informationen sind im „Dokument 13“ zu finden. Es handelt sich um das erste Treffen zwischen Helmut Kohl, George Bush und James A. Baker im Camp David am 24.02.1990. (Memorandum of Conversation between Helmut Kohl and George Bush at Camp David.)
Das Gespräch wie folgend (Auszüge):
Kohl: „Now, concerning external problems. The border question is not serious. Among friends, I can be honest. In the FRG today 85-90% of the population are in favor of the Order-Neisse border. The vast majority knows that this will be the border. The man who built Camp David, Mr. Roosevelt, will never be popular in Germany. The Poles were pushed west and the Germans were expelled. This was a reaction to Nazi crimes, but the Germans who were affected were innocent — this was 12 to 14 million people. One-third of the 1937 Reich was cut off. In 1945, 2 million German civilians were killed fleeing from Eastern Europe. We have to deal with this psychological problem in my country.“
(Übersetzung)
Kohl: „Nun zu externen Problemen. Die Grenzfrage ist nicht ernst. Unter Freunden kann ich ehrlich sein. In der BRD heute sprechen sich 85-90% der Bevölkerung für die Grenze von Order_Neisse aus. Die große Mehrheit weiß, dass dies die Grenze sein wird. Der Mann, der Camp David gebaut hat, Herr Roosevelt, wird in Deutschland nie populär sein. Die Polen wurden nach Westen geschoben und die Deutschen vertrieben. Dies war eine Reaktion auf Naziverbrechen, aber die Deutschen, die betroffen waren, waren unschuldig. — das waren zwischen 12 und 14 Millionen Leute. Ein Drittel des Reiches von 1937 wurde abgetrennt. Im Jahr 1945 wurden 2 Millionen deutsche Zivilisten auf der Flucht aus Osteuropa getötet. Wir müssen mit diesem psychologischen Problem in meinem Land umgehen.“
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Der letzte Satz von Helmut Kohl setzte voraus, dass die Ermordung von rund 2 Millionen deutschen Flüchtlingen aus den Ost-Gebieten auch klar thematisiert werden, damit diese Tatsache damals wie heute auch ins Bewusstsein der heutigen Deutschen vordringen könnte. Ein entsprechender Hinweis auf die millionenfache Tötung von Deutschen auf der Flucht aus den Ostgebieten ist auch bei „Flucht und Vertreibung“ auf Wikipedia nicht zu finden.
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Kohl: „The final resolution of the border question, people thought in the 1970s, would come through a peace treaty. I don’t want a peace treaty regarding Germany. It would not be a good idea. 110 countries were at war with Germany in May 1945. The issue is to reassure the Poles about the 1,000 kilometer border. They must be assured they are safe. The Four Powers, for instance, must playa crucial role. We will be uniting three parts: the -FRG, the GDR, and Berlin. You [Bush, Baker] are involved legally. The Poles should realize that binding decisions must come by a treaty ratified by an all-German parliament in an all-German state. I in the FRG cannot act for a united Germany. But we need to work to meet the expectations of the Poles. The border isn’t a problem. Rather, the problem is that the Poles may demand reparations. I would find that unacceptable. We have already paid 150 billion DM to Poland, Israel, and individuals. We won’t pay more, fifty years after the war.“
(Übersetzung)
Kohl: „In den 1970er Jahren dachten die Menschen, die finale Lösung der Grenzfrage würde mit einem Friedensvertrag kommen. Ich will keinen Friedensvertrag bezüglich Deutschlands. Dies wäre keine gute Idee. Im Mai 1945 waren 110 Länder mit Deutschland im Krieg. Der Punkt ist die Versicherung Polens über die 1000-Kilometer Grenze. Sie müssen sich über ihre Sicherheit im Klaren sein. Die Vier Mächte zum Beispiel müssen eine entscheidende Rolle spielen. Wir wollen 3 Teile vereinigen: – die BRD, die DDR und Berlin. Sie [Bush, Baker] sind sich über das Rechtliche im Klaren. Die Polen sollten realisieren, dass eine verbindliche Entscheidung für einen Friedensvertrag von einem Gesamt-Deutschen Parlament in einem Gesamt-Deutschen Staat kommen muss. Ich in der BRD kann nicht für ein vereinigtes Deutschland handeln. Aber wir müssen daran arbeiten, den Erwartungen Polens zu entsprechen. Die Grenze ist kein Problem. Vielmehr ist es ein Problem, dass die Polen Reparationen verlangen könnten. Dies würde ich inakzeptabel finden. Wir zahlten bereits 150 Milliarden DM an Polen, Israel und weiteren. Wir wollen nicht noch mehr zahlen, fünfzig Jahre nach dem Krieg.“
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Die von Helmut Kohl genannte Anzahl von 110 (ehemaligen?) Kriegsgegnern wirft die Frage über die Übereinstimmung mit der weit verbreiteten Anzahl der rund 54 „Feindstaaten“ auf.
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Bush: „We are going to stay involved in Europe. We have some pressure here to lower the level of US troops and defense spending. We are being asked: who is the enemy? The enemy is unpredictability, apathy, and destabilization. But we will stay in Europe. It will be a tough fight. As for FOTL, FOTL is dead as a doornail.“
(Übersetzung)
Bush: „Wir werden uns in Europa engagieren. Wir haben einigen Druck hier, um die US-Truppen zu reduzieren und die Verteidigungsausgaben zu senken. Wir werden gefragt: „Wer ist der Feind? Der Feind ist Unvorhersehbarkeit, Apathie und Destabilisierung. Wir werden in Europa bleiben. Es wird ein harter Kampf.“
Kohl: „I will say something a little dangerous, which can be difficult to manage. If we coordinate between the US and the FRG, we might have to solve this issue vis a vis Poland, not through participation, but through consultation to relieve the psychological strain. The Poles are unique. They are the only ones who have a border problem. We have to give thought about how to do that.“
(Übersetzung)
Kohl: „Ich werde etwas etwas Gefährliches sagen, was schwierig sein kann. Wenn wir zwischen den USA und der BRD koordinieren, müssen wir dieses Problem vielleicht gegenüber Polen lösen, nicht durch Teilnahme, sondern durch Beratung für die Minderung der psychologischen Belastung. Die Polen sind einzigartig. Sie sind die einzigen, die ein Grenzproblem haben. Wir müssen über eine Lösung nachdenken.“
Kohl: „I know you have many Polish-Americans in your country. I’d like to help Mazowiecki, but Two Plus Five is not doable. We should stick with Two Plus Four, but think about a consultative machanism for Poland. Gorbachev is not interested in the Oder-Neisse issue; he just doesn’t want Poland to open up the issue of its eastern border. There are old Polish cities in the USSR.“
(Übersetzung)
Kohl: „Ich weiß, dass Sie viele polnische Amerikaner in Ihrem Land haben. Ich möchte Mazowiecki helfen, aber 2+5 ist nicht machbar. Wir sollten bei 2+4 bleiben, aber über einen beratenden Mechanismus für Polen nachdenken. Gorbatschow ist nicht an der Oder-Neiße-Frage interessiert; Er will einfach nicht, dass Polen das Problem seiner östlichen Grenze eröffnet. Es gibt alte polnische Städte in der UdSSR.“
(Tadeusz Mazowiecki war zwischen August 1989 und Dezember 1990 Premier Polens)
Kohl: „Mitterrand said last week, it’s a shame these borders exist but, he added, they are realities. This causes me problems at home, but I will have to dealt with it.
We need to deal with the psychological problems of Poland, and of the Germans too. The SPD will use this issue against me, not out of love for Poland, but out of lack of love for me. In 1950, the GDR recognized the Polish border but explicitly made Poland give up any claim for that: border no, reparations yes, as seen from Warsaw. My motives are good. We need to find a sensible solution. I hope an all-German parliament will be convened next year, and will settle it.“
(Übersetzung)
Kohl: „Mitterand sagte letzte Woche, dass die Existenz dieser Grenzen eine Schande ist, aber er fügte hinzu, sie sind Realität. Dies schafft mir zuhause Probleme und ich habe damit umzugehen. Wir müssen mit den psychologischen Problemen Polens umgehen und auch die der Deutschen. Die SPD wird diese Probleme gegen mich verwenden. Nicht aus Liebe zu Polen, sondern aus einem Mangel an Liebe zu mir. Im Jahr 1950 erkannte die DDR die Grenze Polens an, aber brachte Polen von jeglichem Anspruch ab: Grenze nein. Reparationen ja, so wie es in Warschau gesehen wird. Meine Beweggründe sind gut. Wir müssen eine vernünftige Lösung finden. Ich hoffe, dass im nächsten Jahr ein gesamtdeutsches Parlament einberufen und es regeln wird.“
(François Mitterrand war zwischen Mitte 1981 und Mitte 1995 Staatspräsident Frankreichs.)
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Positionspapier des US-Außenministeriums
vom 21.02.1990 („Dokument 11“)
„Two Plus Four has improved our position in the following ways:
- By asserting American leadership in getting the six to agree on Two Plus Four, we have, both publicly and privately, reinforced your point that America is an will remain a European power.
- In working first with the Germans, then with the British and the French, and finally with the Soviets, we have created a model for continued consultations on the issue.“
(Übersetzung)
„2+4 hat unsere Position auf folgende Weise verbessert:
- Durch die Behauptung der amerikanischen Führung, die Sechs dazu zu bringen, sich auf 2+4 zu einigen, haben wir sowohl öffentlich als auch privat, Ihren Standpunkt bekräftigt, dass Amerika den Willen hat, eine europäische Macht zu bleiben.
- Mit der Zusammenarbeit zuerst mit den Deutschen, dann mit den Briten und den Franzosen und schließlich mit den Sowjets, haben wir ein Modell für weitere Beratungen zu diesem Thema geschaffen.“
„The Two Plus Four mechanism does not create a veto. The unification process will in any case go forward. The Two Plus Four mechanism does provide an orderly means to devolve remaining Four Power rights on a unified Germany, a step which will under any circumstances require Soviet acquescence.“
(Übersetzung)
„Der Zwei-Plus-Vier-Mechanismus schafft kein Veto. Der Einigungsprozess wird in jedem Fall vorangehen. Der Zwei-Plus-Vier-Mechanismus bietet ein geordnetes Mittel, um die verbliebenen Rechte der Vier Mächte auf ein vereintes Deutschland zu übertragen. Ein Schritt, der es unter allen Umständen erfordert, die Sowjets dazuzugewinnen.“
„Two Plus Four is not an event or a formal negotiation. Nor is it a replacement for a final German settlement. It is simply a process of incremental consultations. The process does give us additional support (the UK and France) on keeping a united Germany in NATO.“
(Übersetzung)
„2+4 ist kein Anlass oder eine formelle Verhandlung. Es ist auch kein Ersatz für eine endgültige deutsche Regelung. Es ist einfach ein Prozess von zusätzlichen Beratungen. Der Prozess gibt uns die zusätzliche Unterstützung (Großbritannien und Frankreich), ein vereinigtes Deutschland in der NATO zu halten.“
Möge sich jeder seinen eigenen Reim daraus machen. Die Bundesregierung braucht man dazu nicht zu fragen.
Bild „Unterschriften 2+4 Vertrag“: Auswärtiges Amt