Darf man seinem Bruder gegenüber grundsätzlich nicht wütend sein, oder doch, aber dies nur begründet? Ein Vers in Matthäus, unterschiedlich übersetzt. Die Rätsels-Lösung erbringt der Blick auf Jesus Christus.
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Ist Wut grundsätzlich verwerflich?
Ein ziemlicher umstrittener Vers in der Bibel findet sich in Matthäus, Kapitel 5. In Vers 22 warnt Jesus Christus davor, seinem Bruder nicht zu zürnen, da man ansonsten selbst dem Gericht verfallen sein wird. Der Streit- bzw. Knackpunkt betrifft im griechischen Grundtext lediglich einem Wort, „εικη“ („ohne Grund“, „grundlos“). Im Mehrheitstext (textus receptus) ist dieses Wort enthalten und die Bibeln, die sich an den textus receptus (Stephanos 1550) hielt, haben dieses Wort bei der Übersetzung auch berücksichtigt.
Dazu gehört z.B. die deutsche Schlachter 2000:
„Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder ohne Ursache zürnt, wird dem Gericht verfallen sein. Wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka!, der wird dem Hohen Rat verfallen sein. Wer aber sagt: Du Narr!, der wird dem höllischen Feuer verfallen sein.„
und auch die englische King James Version 1611:
„But I say unto you, That whosoever is angry with his brother without a cause shall be in danger of the judgment: and whosoever shall say to his brother, Raca, shall be in danger of the council: but whosoever shall say, Thou fool, shall be in danger of hell fire.“
Neuere Bibeln sehen es anders
Moderne Übersetzungen bedienen sich dem „wissenschaftlich“ überarbeiteten Grundtext von Nestle und Aland. Hier dient als Grundlage auch der erst im Jahr 1844 gefundene textus sinaiticus. In deren Übersetzungen fehlt in Matthäus 5,22 die Einschränkung „ohne Grund“, wie folgende Beispiele:
Matthäus 5,22 (Luther 2017)
„Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.„
Matthäus 5,22 (Hoffnung für Alle)
„Doch ich sage euch: Schon wer auf seinen Mitmenschen zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu ihm sagt: ›Du Schwachkopf!‹, der gehört vor den Hohen Rat, und wer ihn verflucht,[4] der verdient es, ins Feuer der Hölle geworfen zu werden.„
Matthäus 5,22 (Gute Nachrichten Bibel 2018)
„Ich aber sage euch: Schon wer auf seinen Bruder oder seine Schwester[9] zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester sagt: ›Du Idiot‹, gehört vor das oberste Gericht. Und wer zu seinem Bruder oder seiner Schwester sagt: ›Geh zum Teufel‹, gehört ins Feuer der Hölle.„
Matthäus 5,22 (Neue evangelistische Übersetzung)
„Ich aber sage euch: Schon wer auf seinen Bruder zornig ist, gehört vor Gericht. Wer aber zu seinem Bruder ‚Schwachkopf‘ sagt, der gehört vor den Hohen Rat.[3] Und wer zu ihm sagt: ‚Du Idiot!‘, gehört ins Feuer der Hölle.„
Matthäus 5,22 (Einheitsübersetzung 2016)
„Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.„
Matthäus 5,22 (Neues Leben. Die Bibel)
„Ich aber sage: Schon der, der nur zornig auf jemanden ist, wird verurteilt! Wer zu seinem Freund sagt: ›Du Dummkopf!‹, den erwartet das Gericht. Und wer jemanden verflucht[6], dem droht das Feuer der Hölle.„
„Neues Leben. Die Bibel“ fügt eine Fußnote hinzu, mit der Anmerkung, dass „manche Handschriften
Diskrepanz schon länger bekannt
Die modernen Übersetzungen suggerieren somit, dass man seinem Bruder grundsätzlich nicht zürnen dürfe, während die Bibeln gemäß textus receptus die Bedingung eines Grundes enthalten haben.
Einen solchen Vermerk, dass andere Schriften das Wort „grundlos“ enthalten haben, machte bereits der katholische „Kirchenvater“ Sophronius Eusebius Hieronymus (347-420). Er übersetzte die Bibel in die lateinische Vulgata, nahm aber als Vorlage die Zusammenstellung der Septuaginta (LXX – Info). Eine Schriftensammlung, angefertigt von 72 Gelehrten aus dem Raum Alexandrien im 3. Jahrhundert vor Christus. Diese hellenistisch beeinflussten Gelehrten übersetzten auch die hebräischen / aramäische Schriften (heute Altes Testament) ins Griechische.
Hieronymus zu Matthäus 5,22:
„Es scheint, dass es nicht erlaubt sein kann, zornig zu sein […] Manche Kodizes fügen ‚ohne Grund‘ hinzu. Allerdings im Echten In den Kodizes ist der Satz unqualifiziert und Wut ist gänzlich verboten.„
Offensichtlich hat man sich anhand der modernen, und vor allem auch von der römisch-katholischen Kirche anerkannten Bibelversionen, darauf geeinigt, die Wut gänzlich als Verfehlung zu brandmarken. Das passte „wunderbar“ zur propagandierten „Alles-Liebe“ unter einer sich friedlich vereinigten Menschheitsfamilie. Hierzu werden auch kurzerhand die „Liebes-Gebote Jesu“ von den 10 Geboten einfach abgekoppelt (Info).
Jesus Christus als Beispiel
Wie es sich nun tatsächlich mit der „Wut“ gegenüber seinem Bruder verhält, ob nun textus receptus richtig liegt, oder die modernen Versionen, kann am besten an Jesus Christus selbst verifiziert werden. Wie hat sich Jesus Christus, das leuchtende Beispiel des Glaubens für die Menschheit, in manchen Situationen verhalten?
Die wohl bekannteste Szene mit einem eher „unfriedlichen“ Jesus Christus ist die Säuberung des Tempels. Hierzu fertigte sich Jesus sogar eine Peitsche an. Matthäus 21,12-13:
„Und Jesus ging in den Tempel Gottes hinein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften, und stieß die Tische der Wechsler um und die Stühle der Taubenverkäufer. Und er sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus soll ein Bethaus genannt werden!« Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!„
Jesus trieb alle Menschen hinaus, führte diese aber nicht begleitend per Hand nach draußen. Jesus stieß die Tische und Stühle um, legte diese aber nicht sachte in die waagerechte Position. Alles sieht nach eher wütender Handlung aus, weniger nach einer sanften Belehrung.
In Matthäus 23 hält Jesus Christus den Pharisäern eine „Standpauke“. Auch die ganze Reihe der mit „ihr Heuchler“ eingeleiteten Vorwürfe deuten nicht gerade nach einem ruhigen Ton hin. Auch in Matthäus 17,17 ist Jesus Christus sichtlich der Kragen geplatzt:
„Da antwortete Jesus und sprach: O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?„
„Ohne Grund“ ist glaubhafter
Paulus selbst belegt die grundlose Wut, indem er sein Verhalten als „Saulus“ gegenüber den ersten Christen selbst läuterte, Apostelgeschichte 26,11:
„Und in allen Synagogen wollte ich sie oft durch Strafen zur Lästerung zwingen, und über die Maßen wütend gegen sie, verfolgte ich sie sogar bis in die auswärtigen Städte.„
Es gibt somit einige Hinweise darauf, dass Jesus Christus durchaus emotional wurde und in Wallung geriet, die auch Wut genannt werden kann. Diese waren aber allesamt begründet. Aus diesem Grund kann der Aussage Matthäus 5,22, dass die Wut gegenüber einem Bruder „ohne Grund“ zur Verurteilung führt, der größere Glaube geschenkt werden.
Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung.
Galater 5,22
Bibelverse aus Schlachter 2000